19. September bis 21. Oktober 2022
Es wird schon Herbst, doch im Süden kommen jetzt erst die angenehmen Temperaturen zurück. Also mache ich mich noch schnell auf in den Südosten, um möglicherweise das
Magische Dreieck Europa
doch noch zu vollenden.
Anfang der Saison war die Möglichkeit nicht einmal im Fokus, doch nun scheint die Realisierung des Motorradfahrer Traums doch noch in diesem Jahr möglich zu sein. Es ist zwar schon Mitte September, trotzdem packe ich meine sieben Sachen und mache ich mich auf den Weg in den Südosten.
Mein Ziel soll zwar Istanbul sein, jedoch hat mich Griechenland schon lange neugierig gemacht und wird deshalb im Mittelpunkt meiner Reise an den südöstlichsten Punkt Europas stehen. Griechenland entdecken und mich dabei so nah wie möglich an mein Ziel heran zu arbeiten, wird also die Aufgabe und Ziel der Reise.
Um möglichst viel Zeit in Griechenland verbringen zu können, will ich die Anreise so effizient wie möglich gestalten. Meine Route führt mich daher über das Friaul, weiter ins Veneto, an Venedig vorbei nach Ancona.
Von dort bringt mich die Europa Palace (https://www.minoan.it/en/fleet/europa-palace),
eine Fähre von Minoan Ferries etwa 1.000 km weiter südlich nach Patras auf den – manchmal auch ‚die‘, ich bleibe bei ‚der‘- Peleponnes.
Die Reisezeit beträgt zwei Tage und drei Nächte – sehr effizient, wie ich meine.
Patras liegt auf dem Peloponnes, an dem Meeresarm, der hier an seiner engsten Stelle in den Golf von Korinth übergeht. Die Halbinsel werde ich aber erst später bereisen, jetzt geht es erst einmal nach Norden. Deshalb fahre ich über die neue ‚Rio-Andirrio-Brücke‚ (offiziell Charilaos-Trikoupis-Brücke), an der engsten Stelle des Meeresarms in den nürdlichen Teil des gebirgigen Landes. Vier große Stützen und zeltförmige Abspannseile bilden eine verwegene Konstruktion, die sich 2,5 km über das Meer spannt.
Auf der anderen Seite nehme ich die alte Straße, die parallel zur E5 entlang der Westküste verläuft und manchmal auch querfeldein und durch abgelegene Dörfer führt. Heute fahre ich so lange mir die Sonne den Weg beleuchtet.
Schon in Patras mache ich mich mit den ‚Besonderheiten‘ des griechischen Straßenverkehrs vertraut. Hier haben Zweiradfahrer quasi Narrenfreiheit, dürfen sich überall durchquetschen, immer bis ganz nach vorne an die Ampel durch die stehenden Fahrzeuge schlängeln und grundsätzlich ohne Helm unterwegs sein. Bodenmarkierungen, wie durchgezogene Linien, schraffierte Flächen und dergleichen werden generell als Hinweise, bestenfalls Empfehlungen empfunden und haben keine Auswirkungen auf den Verkehr. Die Geschwindigkeit wird innerorts und auch außerorts so gut wie nicht kontrolliert, was dazu führt, dass auf der Hauptstraße durch eine Ortschaft nie langsamer, als 70 km/h gefahren wird. Ich werde von LKWs, Bussen und natürlich erstrecht von PKWs überholt, wenn ich, nur um zu schauen, langsamer fahre. Im Übrigen gelten die Gesetze des Dschungels, die ich aus Südamerika immer noch gut in Erinnerung habe: – der Größere hat immer Vorfahrt; – Ampeln gelten als Hinweis zur Verkehrsregelung und werden erst nach längerer Rotphase und bei Querverkehr ernst genommen; – als Motorradfahrer bin ich der Vorletzte in der Hierarchie nur noch vor den Radfahrern und Fußgängern, die gleich schwach empfunden werden.
Jedoch der Zebrastreifen – und das ist sehr erstaunlich und für mich gewöhnungsbedürftig – wird überall sehr ernst genommen!! Jeder(!) hält freiwillig an, wenn ein Fußgänger die Straße queren möchte – vorbildlich!
Mein erstes Tagesziel liegt am Meer in der Ortschaft Ligia (Λυγιά), es gibt kein Ortsschild, mich leitet nur eine Idee, dass es hier Hotels am Strand geben könnte. Darum biege ich am nächstbesten Abzweig von der Hauptstraße in Richtung Strand ab. Tatsächlich gibt es hier Hotels, eins neben dem anderen. Ich halte an und beginne nach einem Zimmer zu suchen. Die ersten zwei Hotels haben bereits geschlossen; ich laufe quer durch das Haus, niemand kümmert sich um mich – die Saison ist vorbei – doch im Hotel Dimitri empfängt mich der Boss und bietet mir ein Zimmer zu einem ansprechenden Preis an und einen sicheren Platz für die Nacht für meine Perla Negra II. Abendessen könnte ich auch bei ihm, Pizza oder Spaghetti würde er machen, doch wenn ich wollte, könne er auch einen Fisch zubereiten, er sei nämlich Fischer – das Angebot nehme ich herzlich gerne an und es stellt sich als die beste Wahl heraus.
Auf abenteuerlichen Straßen geht meine Route über Hügel und Berge ins Landesinnere, vorbei am Pamvotida-See und der Stadt Ioannina,
bis ich dann kurz vor Kalambaka auf die Felsformationen treffe, die für die Meteoraklöster so typisch sind.
Mein Weg führt mich jedoch nach Kastraki, einem kleinen Dorf das direkt am Fuß der Felsen liegt, nur noch ein paar Kilometer entfernt von Kalambaka, dem Hauptort und touristischen Zentrum. Beide Ortschaften sind auch zu dieser Jahreszeit voll mit Touristen. Doch alleine der Anblick der abenteuerlich auf den Felsstumpen gebauten Klöstern ist es wert, sich für einen Tag in den Trubel zu stürzen.
Von den ursprünglich einmal 24 Klöstern und Einsiedeleien sind heute noch 6 in Betrieb, sie sind natürlich UNESCO-Weltkulturerbe und werden nicht nur von den Eintrittsgeldern der zahlreichen Besucher unterhalten. Wie Adlerhorste thronen sie auf den Sandsteinfelsen. Sie wurden so gebaut, dass sie auf natürlichem Weg unerreichbar waren. Besucher und Bewohner wurden in Körben an langen Seilen nach oben gezogen; die Klöster waren dadurch vor den Überfällen der Osmanen geschützt, was in den Texten im Kloster Agios Stéphanos immer noch besonders hervorgehoben wird. Genau dieses Kloster besuche ich, weil es am leichtesten zu erreichen ist – es ist ein Frauenkloster. Der Ansturm ist so groß, dass ich mit den anderen Besuchern durch die Anlage geschoben werde – keine Platz an dem ich mich länger aufhalten will.
Als ich den Parkplatz verlasse kommt mir ein (Leih-)Auto auf meiner Straßenseite entgegen und hält direkt auf mich zu. Der Fahrer macht erst mal keine Anstalten meine Fahrbahn zu verlassen – ich bremse und fahre ganz rechts an den Rand. Erst als die Beifahrerin im Auto heftig interveniert, wechselt er die Straßenseite – allem Anschein nach ist es wohl ein Japaner, der Linksverkehr von zu Hause gewöhnt ist. Ein Fehler, der mir auch in England schon mal passiert ist, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen.
Mein nächstes Ziel ist der Götterberg Olympos – die Heimat von Zeus, sofern er nicht gerade wieder auf Brautschau ist.
Über eine Hochebene nähere ich mich dem Koloss, der sich mächtig aus der Ebene erhebt; es ist mit 2.918 m der höchste Berg Griechenlands und kein Wunder, dass er von den alten Griechen als Hort und Sitz der Götter bezeichnet wurde.
Die Skistation Vrisopoules in etwa 2.000 m Höhe ist der höchste Punkt, den ich auf der Straße erreichen kann. Sie endet an einem Checkpoint der Armee, die auch das Skigebiet betreibt und an dem Wanderer ihren Ausweis vorweisen müssen, wenn sie weiter in Richtung Gipfel gehen wollen.
Bis zur Ägäischen Küste schlängelt sich die Straße auf der Hochebene (etwa 1.000 m über N.N.) nach Osten. Erst kurz vor dem Meer bricht das Gelände zur Küste hin ab. Auf einer steilen und serpentinenreichen Strecke falle ich regelrecht auf Meereshöhe hinunter – sehr spektakulär.
Bis an die Südspitze der Halbinsel Pilion (die alten Griechen nannten sie: Pelion) führt mich die wenig befahrene Straße auf etwa 200-300m über dem Meer am Hang des Gebirges entlang.
Spektakuläre aus Aussichten auf das Meer und die an den Hang geklebten Dörfer sind der Lohn der dauernden Kurbelei, denn um Kurven brauche ich mich nicht zu kümmern, es geht kaum 50 m geradeaus.
Als nächstes kommen die Heiligen Stätten der alten Griechen in Delphi und Olympia – es würde mich freuen, wenn ihr dabei bleibt.