19. September bis 21. Oktober 2022
Ich verlasse den Peloponnes, die Fähre wird mich nach Kreta, in den westlichsten Hafen auf Kreta, nach Kissamos bringen. Die Überfahrt soll ca. 7 Stunden dauern; Abfahrt ist 16:30 Uhr – es wird also spät, bis ich ankommen werde. Über WhatsApp kündige ich im Hotel mein ‚late check-in‘ an.
Bei sonnigem Wetter legen wir pünktlich ab, haben aber strammen Wind aus Südosten und stechen in See, bei (noch) mäßigem aber gut spürbarem Seegang. Wir befinden uns aber immer noch im Golf von Lakonia und damit im Windschatten der östlich von uns gelegenen Halbinsel.
Auf dem Weg liegt die kleine Insel Kythira, die wir anlaufen und im Fährhafen von Diakofti festmachen, um Passagiere aus- und zusteigen zu lassen. Kurze Unterbrechung des heftigen Seegangs tut gut.
Doch als wir den Schutz von Festland und Hafenbefestigung von Diakofti verlassen und das offene Meer erreichen, macht sich der Wind (70 km/h) und die Wellen (3 m +) erst richtig bemerkbar. Die Fuhre schaukelt grauenhaft. Das Schiff giert, stampft und rollt – in jede Richtung mit erheblichem Ausschlag. Zu allem Überfluss lässt uns der Kapitän nach etwa einer Stunde auf Südkurs und wilder Schaukelei wissen, dass wir wenden und zurück zur Insel Kythira fahren werden. Wir müssten dort einem in Seenot geratenen Segelboot helfen.
Jetzt beginnt eine gefühlt endlos lange Leidenszeit für mich, denn vor der Küste südlich von Diakofti kreuzt unsere Fähre zusammen mit einem norwegisches Kreuzfahrschiff in stockfinsterer Nacht auf und ab, um nach Schiffbrüchigen zu suchen.
Seekrankheit war bisher nicht in meinem Erfahrungsschatz – jetzt hole ich das sehr intensiv nach!
Schließlich kommt auch noch ein Helikopter zu Hilfe und am Ende ziehen die Retter zusammen 12 Menschen aus dem Meer. Die Suchaktion endet nach vier Stunden, so dass wir uns wieder auf die Reise nach Süden begeben können. Den tatsächlichen Grund der Hilfsaktion erfahre ich am nächsten Tag aus der online-Presse: ein Segelschiff mit etwa 80 Migranten besetzt, zerschellte in den Felsen der Steilküste vor Kythira, wobei ca. 50 Menschen an Land kommen und die Steilküste mit Hilfe der einheimischen Feuerwehr hinaufklettern konnten, die anderen im Meer trieben.
Immerhin konnten durch den Einsatz der beiden Großschiffe und des Hubschraubers 12 Menschen geborgen werden – für den Rest bleibt Hoffnung und am Ende wohl auch Trauer.
Hier wird mir bewusst, wie unmittelbar und schnell auch ein auf dem Motorrad Reisender in dramatisches (Welt-)Geschehen verwickelt sein kann – mein Leiden verstehe ich als Unterstützung zur Rettung der Schiffbrüchigen und kann es somit auch leichter verkraften.
Die kleine Insel Antikythira können wir wegen des hohen Seegangs nicht anlaufen. Ankunft in Kissamos 5:00 Uhr, ich bin total fertig – der Empfangschef im Hotel sieht mich an, als ob ein Gespenst in der Tür stünde – er reicht mir den Zimmerschlüssel und wünscht mir einen guten Schlaf.
Um 10:00 Uhr bin ich wieder unter den Leuten und sattle nach einem guten Frühstück meine Perla Negra II. Sie bringt mich an die Südküste.
Unterwegs fahre ich in der Nähe von Kissamos an einem Laden vorbei, dessen schierer Anblick mich zum Anhalten veranlasst. Es ist der ‚Local Art Workshop von Manolis Tsouris‘.
Der Laden ist voller geschnitzter, gedrechselter und gebauter Gegenstände aus Holz, vornehmlich aus Olivenholz – eine wahre Schatztruhe mit einem Faktotum als Chef, eben diesen Manolis Tsouris. Sein Motto ist ‚When wood met madness‘ und so sieht es in diesem Laden aus. Ich kann nicht umhin ein paar kleine Teile zu kaufen, was den Chef dazu veranlasst mir eine persönliche Tüte zu falten – ganz nach seinen Vorstellungen und mit den Farben meines Herkunftslandes und dem ‚P‘ mit Krone – eben sehr individuell. Das alles begleitet er immer mit kleinen Kommentaren – manchmal auf griechisch, manchmal auf englisch – während er schneidet und klebt.
Meine Etappe endet in Heraklion, wo ich meine Perla Negra II mit etwas lauem Gefühl auf der Straße vor dem Hotel parken muss, ein Parkhaus oder ein geschlossener Innenhof steht nicht zur Verfügung.
Die Stadt erkunde ich zu Fuß und mache mich auf den Weg in die lebhafte Altstadt und in den alten Hafen mit der venezianischen Festung.
Dort schlagen die Wellen vom gestrigen Sturm immer noch sehr ungestüm an die Hafenbefestigung, so dass spektakuläre Bilder mit aufspritzender Gischt vor altem Gemäuer entstehen.
Die Altstadt überrascht mich mit vielen Architekturdetails aus Venezianischer Zeit (ca. Anf. 13. Jhdt bis Anf. 17. Jhdt.). Das liegt schon immerhin schon etwa 400 Jahre zurück, doch andererseits hatten die Venezianer 400 Jahre Zeit der Stadt ihren Stempel aufzudrücken.
Wie fast überall in Griechenland gibt es auch hier auf Kreta einen besonderen Ort, quasi einen göttlichen Ort oder besser eine ‚Götter-Gegend‘, es ist die Lasithi-Hochebene.
Sie ist der Hort der Anfänge aller hellenistischen Gottheiten, denn hier soll in der Höhle Diktéon Ántron – am Rande dieser bildschönen, von Bergen gesäumten Hochebene – der Geburtsort des Göttervaters Zeus sein. Zudem feiern die Leute von Lasithi ihre schöne Gegend auch noch als Geburtsstätte Europas, denn in besagter Höhle soll Zeus sich auch noch mit der entführten phönizischen Königstochter Europa vermählt haben – viel gesehen, viel gelernt.
Die Hochebene – sie liegt auf gut 800 m über dem Meer – erreiche ich mit dem Moped über einen etwa 1.000 m hoch gelegenen Pass von Norden und finde neben einer offensichtlich sehr gut organisierten Landwirtschaft die für Kreta und Griechenland so typischen Windmühlen mit ihren dreieckigen Stoffflügeln.
Meine Kurzvisite auf Kreta schließe ich mit einem Besuch der Ausgrabungen des Palastes von Knossos, südlich von Heraklion ab.
Es heißt, es handele sich um den größten minoischen Palast und für viele mag der Besuch des Parks mit all den rekonstruierten Gebäudeteilen und Fresken spektakulär sein, für mich stellt er einen riesigen Spielplatz für mit viel Fantasie und viel Geld ausgestattete Archäologen dar. Sie haben unwissend und die historische Wirklichkeit nur erahnend mit Beton und vielen modernen Hilfsmitteln versucht, einen Palast aus vorgeschichtlicher Zeit zu rekonstruieren. Die Struktur der Fundstücke und die Sagen um den Palast animierten Archäologen eine Rekonstruktion mit modernen Mitteln zu unternehmen.
Fantasie und Kreativität der Archäologen oder sollte man sie Erbauer nennen, hat die Gebäude geschaffen.
Somit laufe ich durch einen, mit alten Fundstücken (vor allem Steine) aufgebauten archäologischen Fantasiepark – touristisch ausbeutbar aber ein wenig wie Disneyworld der Antike, eine archäologische Schimäre, denke ich.
So verlasse ich Kreta mit vielen Eindrücken und freue mich schon auf kommende Abenteuer.