Die Königsetappe, Uyuni – San Pedro de Atacama

Kilometerstand: San Pedro de Atacama 17957 km

Nachdem ich Oruro hinter mir habe, bin ich in den Süden von Bolivien eingetaucht. Die nicht auf den Massenverkehr ausgerichtete Infrastruktur stellt fahrerisch die größten Herausforderungen für einen Motorradtouristen dar. Denn große Strecken sind nur auf Sandstrassen und mit einer Routenführung, ‚wie der Esel lief‘ zu überwinden. Darüber hinaus bin ich gerade in der Regenzeit hier, was die Anforderungen weiter erhöht. Ich kann nicht nur staubige Landstrassen fahren, sondern muss hin und  wieder auch mal über Bäche und kleine Flüsse ohne die Hilfe einer Brücke – d. h. einfach durch.

Ich wusste das alles, trotzdem bin ich hier. Aber ganz ohne ist das nicht, denn jugendliche Unbedachtheit und Risikobereitschaft ist nicht mehr meine Stärke. Vor allem nach der Spritknappheit auf der Strecke von Oruro nach Sucre bin ich gewarnt und möchte die Strecken nur dann fahren, wenn das Risiko überschaubar ist. Jede Etappe wird mit Bedacht geplant und mit den Einheimischen werden die jeweiligen Bedingungen für die geplanten Strecken abgeklopft. Die Informationen müssen auch jung genug sein, denn die Strassenverhältnisse ändern sich täglich durch die Regenzeit.

Nun sitze ich in Uyuni und genau genommen, gibt es drei Wege um auf der Reise weiter in Richtung Süden voran zu kommen.

Da ist die von allen bevorzugte Strecke nach Südwesten zu den Lagunas. Die Laguna Colorado und die Laguna Verde locken mit einmaligen landschaftlichen Reizen. Diese Strecken werden vor allem von den Jeeps mit den Touristen befahren. Sie sind von Uyuni drei Tage unterwegs, um  nach San Pedro de Atacama zu kommen. Marc, ein amerikanischer Biker auf einer Super Enduro von KTM hat sich diese Strecke vorgenommen. Aufgrund der Aussagen der ‚einheimischen Berater‘ kommt diese Strecke für mich nicht in Frage.

Nun bin ich mit Ralf und Dieter in Uyuni angekommen. Sie wollen am nächsten Tag die direkte Route nach Süden nehmen. Sie führt nach Tupiza und Villazón an die argentinische Grenze. Mit ihnen zu fahren stellt eine gute Gelegenheit dar, in dieser einsamen Gegend nicht allein fahren zu müssen. Also packe ich auf und fahre mit den Beiden los.

Auf der brettebenen Strasse geht es vom Ort weg und in kurzer Zeit sind die Häuser von Uyuni nicht mehr zu sehen. Flaches Land weit und breit – plötzlich verschwindet die Strasse und taucht dreißig Meter weiter wieder auf. Vor uns eine Furt. Der Bach ist knappe 10 Meter breit und kommt mit einer ganz schönen Geschwindigkeit von links. Die Brühe ist rot, der Grund nicht zu sehen. Da die Furt aber betoniert ist, hat keiner von uns Hemmungen, da durch zu fahren – die Strömung drückt ganz schön, das Wasser ist max. 40 cm tief – es  geht sehr gut, sogar die Füße bleiben trocken.

Wir nehmen die Fahrt nach dem kurzen Intermezzo wieder auf und kommen kurze Zeit später an einen Fluß. Der ist sicher mehr als doppelt so breit, wie die eben durchfahrene Furt, die Tiefe ist wegen der roten Brühe nicht mal zu erahnen, nur eins ist zu sehen, die Busse und Jepps fahren hier durch. Ralf steigt von seiner R 1150 GS und watet in voller Montur durch den Fluss, um zu sehen, wie tief die Furt ist – sie ist durchschnittlich knapp knietief. Bis ich mich umsehe, sitzt er auf seinem Motorrad und fährt das gute Stück durch die Furt. Die Zylinder sind gerade nicht ganz unter Wasser. Er kommt zurück und setzt sich auf die F 800 GS und kutschiert sie ebenfalls durch den Fluss.

Nota bene: beide Maschinen haben den Ansaugkanal nach oben verlegt, das  vergrössert die Wattiefe erheblich.

Für mich ist die Südroute hier zu Ende. Ich beschließe umzudrehen und das Risiko, Wasser in den Motor zu bekommen nicht einzugehen.

Bleibt also nur noch der Weg nach Westen. Mit dem Besitzer des Restaurants in unserem Hotel, einem seit langem hier ansässigen Amerikaner bespreche ich die Strecke. Er meint, sie sei auch trotz Regenzeit und heftigem Regen in den letzen Nächten noch ganz gut zu befahren. Um für Benzin vorzusorgen, bringt er mir zwei fünf Liter Kanister aus der Küche – er schenkt sie mir.

Für mein Navi plane ich die Strecke, sie wird über 520 km lang sein. Tankstellen werden auf einer Strecke von knapp 400 km keine sein, die Strassenverhältnisse sollen gangbar sein und Imigración und Zoll sind an der Grenze in Ollagüe und nicht irgendwo im Land versteckt – ich fühle mich gut vorbereitet. Es kann also los gehen.

Es hat wieder die ganze Nacht geregnet, trotzdem scheint jetzt die Sonne von einem weiß-blauen Himmel und die Fahrt geht in Richtung Westen. Die Strasse ist zum Teil schlammig und fühlt sich an wie Schmierseife, aber mit der Zeit bekomme ich das Gefühl intus und es macht mir nichts mehr aus, wenn es unter mir ein wenig hin und her geht. Wichtig ist, sich in den Spuren der LKWs und Busse zu halten, denn die sind fest gefahren und geben wenigstens ein weinig Halt auf der Strasse.

Über die beiden Flüsse von gestern führt auf dieser Strasse jeweils eine Brücke – zum Glück!

Nach fast 100 Kilometer komme ich nach San Cristobal. Dieser Ort lebt vor allem von der in der Nähe befindlichen Silbermine und hat die letzte Tankstelle vor der Grenze. Also hier alle Behälter auffüllen und wieder auf die Piste.

Jetzt wird es wirklich einsam – manchmal habe ich das Gefühl, ich wäre der einzige Mensch auf dem jeweiligen Quadratkilometer – ich bewege mich in scheinbar endlosen Weiten. Nur begrenzt durch die in der Ferne stehenden Berge. In der Gleichförmigkeit der Landschaft beginnt sich am Horizont eine kleine Ansiedlung abzuzeichnen, um sich gleich wieder in der Tarnung der Weite zu verlieren. Hin und wieder begegnet mir ein Bus, LKW oder auch ein Pick-up. Links und rechts von mir türmen sich Vulkane auf, deren Gipfel in dunkle Wolken gehüllt sind, aus denen es in Strömen regnet. Glücklicherweise sind sie so weit weg, so dass ich immer nur ein paar Tropfen von den Ausläufern der Wolken abbekomme. Immer wieder kommen recht verzwickte Schlammpassagen und Wasserlöcher, die die gesamte Strasse versperren. Oft kann ich daran vorbei fahren, zwei Mal muss ich jedoch durch das Wasser – ich hab Glück, es ist nicht zu tief und der Boden ist griffig.

Dann von Weitem zu sehen, ein Güterbahnhof – mitten in der Wüste. Zwei Lokomotiven sind vor einen fertigen Zug gespannt und als ich näher komme, höre ich ihre Motoren laufen – es lebt also hier. Ich bin hier nicht nur am Bahnhof, nein, hier befindet sich auch die Grenzstation der Bolivianer. Ich halte vor einem neueren Gebäude an, aber da ist niemand – ein Mann, der vom Zug her kommt, sagt mir, dass die Büros auf der anderen Seite der Schienen sind, die ich mit dem Motorrad ohne weiteres überqueren könne.

Und tatsächlich, nicht in den neuen Gebäuden, sondern in den alten Buden neben dem Bahnhof befinden sich Imigración und Aduana  (Zoll). In 10 Minuten bin ich abgefertigt und kann meinen Weg nach Chile fortsetzten.

Hier werde ich formvollendet von Imigración und Zoll behandelt – ich muss sogar erstmalig meine Tasche ansehen lassen – und bin ebenfalls in kurzer Zeit in  Chile willkommen.

Nun liegen noch 300 km bis San Pedro de Atacama vor mir. Vorbei an drei Salaren, mit sehr anspruchsvollen Schlammpassagen kämpfe ich mich vorwärts.

Doch nach ungefähr 100 km beginnt die Strasse so zu werden, dass man fahren kann, wie auf einer Teerstrasse – jetzt geht es gut voran und als ich Calama ankomme ist es noch eine Stunde bis zur Dämmerung – ich fahre weiter nach San Pedro.

Am Ende des Tages waren es elf Stunden unterwegs, mit 521 km, davon 390 km auf Dreckstrassen – ich bin froh, es geschafft zu haben.

In San Pedro de Atacama – dem trockensten Platz auf Erden, wie die Meteorologen sagen – empfängt mich bei einem wunderbaren Abendrot ein gigantischer Regenbogen.

Ein schönes Zeichen am Ende einer so langen Fahrt. Als ich in das Dorf fahre regnet es tatsächlich und nicht mal schlecht, eine große Seltenheit, die ich in den nächsten vier Tage immer wieder erleben darf.

Weiter geht es in Argentinien.

5 Antworten auf „Die Königsetappe, Uyuni – San Pedro de Atacama“

  1. Hallo Paul,
    einfach nur Genial. Hoffe wir sehen uns dann am 02-05.06. zur BMW Motorradtour „… and friends“
    Hans-Peter

  2. Hey Paul,
    toll was du da wieder so alles durchpflügst, die Bayern würden schlichtweg sagen : a Hund bist fei scho !!!
    Kann mir richtig vorstellen wie´s Dir so geht – und Respekt daß Du umgekehrt bist – weil Umkehren oft sehr viel schwieriger zu entscheiden ist – aber ich bin zuversichtlich, Du machst das alles super,
    weiterhin gute Fahrt
    Hermann + Sonny

  3. Mein guter lieber Paul,nun bist Du nach allerlei Pisten-Abenteuern doch in Chile angekommen,dessen südlichsten Teil ich ja auch auf 2 Rädern bereist habe,d.h.mehr oder weniger durch die Pampa,die sich in Argentinien noch weiter ausdehnt als in Chile.Hier ist wie üblich bei meinen Grüßen aus Old Germany gerade der neue Tag angebrochen!Ich hoffe,der Grenzübertritt nach Argentinien von Chile her dauert nicht so ewig lange wie bei uns damals.Ich denke an Dich,halte weiterhin die Ohren steif!!Toi,toi,toi–Axel

  4. Lieber Herr Kage!
    Nun gilt diese meine BMW eMAIL nur noch drei Tage, denn am Dienstag trete ich ganz spontan, schnell und dennoch freudig einen neuen Job an, siehe Pressemitteilung unter
    http://www.man.de/MAN/de/
    Ihnen auch weiterhin gute Reise nach Süden (bei mir geht es bürotechnisch jetzt 3 km nach Osten in die Ungererstraße). Viel Glück und gute Heimkehr – Hiltrud Werner

  5. Hallo Paul,
    Deine heutige Mammut-Tagesetappe habe ich abends unserer Zeit bis ca. 0:35h verfolgt. Das müssen ja mehr als 600km gewesen sein!! Aber wenigstens war wohl die lange gerade Strecke in Richtung der Stadt Resistencia vom Zustand der Straße her ziemlich gut, wie einige Fotos in Google Earth zeigten.
    Jetzt ist aber wieder Zeit für eine Pause, nicht wahr!
    Mach‘s weiterhin gut!
    Viele Grüße
    Eckhard

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